Vor dem selben Gremium (22.9.99) schließt sich Kriegsaußenminister Fischer den
Drohungen an: "Generalsekretär Kofi Annan hat zu Recht dazu aufgerufen, eine "Kultur der
Prävention" zu entwickeln, um den Ausbruch von Kriegen und Naturkatastrophen künftig
wirksamer zu verhindern. ... Die Nichteinmischung in "innere Angelegenheiten" darf nicht
länger als Schutzschild für Diktatoren und Mörder mißbraucht werden. ...
Peacekeeping-Operationen müssen bereits im Vorfeld von Konflikten stattfinden. ... Die
Festsetzung Pinochets und die Anklage Milosevics vor dem Internationalen
Jugoslawien-Tribunal sind Meilensteine auf dem Weg zur weltweiten Herrschaft des Rechts"
Kriege und Naturkatastrophen, zum Intervenieren sind alle Anlässe recht, in seiner Rede
nennt er u.a.: Bürgerkriege, ethnische Spannungen, Pogrome, Masenvertreibung,
Massenmord, Völkermord, Umweltzerstörung. Und wenns die nicht gibt, kann man immer
noch präventiv eingreifen. Daß das der Heimatfront möglicherweise nicht so leicht
unterzujubeln ist, sieht er selbst: "Jeder weiß, wie schwierig der Übergang von der "Kultur
der Reaktion" zu einer "Kultur der Prävention" sein wird. Es verlangt große
Überzeugungskraft, um die politische und ökonomische Bereitschaft für Maßnahmen
aufzubringen, die etwas verhindern sollen, was es hoffentlich niemals geben wird."
Und wer soll sich an der weltweiten Herrschaft des Recht beteiligen? "Antworten auf die
großen Weltprobleme zu finden, wird im Rahmen der klassischen Nationalstaaten nicht mehr
möglich sein, sondern nur in einer gestärkten internationalen Struktur und mit einem
Machttransfer auf internationale Organisationen, an ihrer Spitze die Vereinten Nationen,
einer Transformation von klassischer Macht in Recht, einem Interessenausgleich und einer
Zivilisierung des internationalen politischen Systems bei immer stärkerer Einbindung von
zivilgesellschaftlichen Akteuren und Wirtschaftsunternehmen. ... Ich unterstütze den
Vorschlag von GS Kofi Annan, im Rahmen einer public-private partnership zwischen den VN
und großen Unternehmen einen globalen Pakt über gemeinsame Werte und Grundsätze
abzuschließen, die dem Gesetz des Marktes ein menschliches Gesicht geben."
(Hervorhebungen von mir) Ja genau, bei den Wirtschaftsunternehmen ist die weltweite
Herrschaft des Rechts bestens aufgehoben, bekannte Beispiele dafür sind Shell in Nigeria,
BP, die sich in Kolumbien gleich eine Privatarmee leistet, Rio Tinto auf Irian Jaya ... die
Aufzählung soll nicht den Eindruck erwecken, als gehe es jenseits der Multis irgendwie
menschenfreundlicher zu. Egal ob Global Player oder einheimische Klitsche, an der
weltweiten Herrschaft des Rechts auf ungestörte Ausbeutung sind alle gleichermaßen
interessiert.
Die Bitten der Welt, dieses Recht möge durchgesetzt werden, stoßen beim Minister auf
anderthalb nicht-taube Ohren: "Wie Sie wissen, hat Deutschland schon länger seine
Bereitschaft erklärt, in diesem Zusammenhang dauerhaft mehr Verantwortung zu
übernehmen. Hieran halten wir uneingeschränkt fest. ... Die Vereinten Nationen und ihre
Mitglieder können sich darauf verlassen, daß sie bei den Bemühungen um eine Stärkung der
UNO keinen verläßlicheren Verbündeten haben werden als die Deutschen." Ein bißle
großmäulig, schon der Einsatz im Kosovo streßt die Bundeswehr total. Für Osttimor können
gerade noch 100 Sanitäter u.ä. bereitgestellt werden. Nichtsdestotrotz droht er beim
russischen Kriegsaußenminister Iwanow wieder mit dem Knüppel "Humanitäre
Katastrophe", wg. Tschetschenien (15.10.99). Der kontert: "Kampf gegen den
internationalen Terrorismus". Das Argument hat er wohl second-hand als Entwicklungshilfe
aus den USA gekriegt, weil es dort, wegen der peinlichen Angelegenheit mit der
sudanesischen Arzneimittelfabrik, nicht mehr so gut kommt. In Rußland reicht Propaganda
allein aber nicht aus, dort mußten erst mehrere Wohnhäuser in die Luft gejagt werden, um die
Bevölkerung auf einen neuen Tschetschenienkrieg einzustimmen.
Es gibt weitere Mitbewerber darum, wer am eifrigsten die weltweite Herrschaft des Rechts
durchsetzt. Der australische Premierminister Howard hat für Australien die Rolle des
Hilfssheriffs der USA in Asien beansprucht. In einem Zeitschrifteninterview wies er darauf
hin, daß Australien dafür deshalb so geeignet sei, weil es einerseits vor Ort liegt, andererseits
"eine europäische, westliche Zivilistation mit starken Verbindungen nach Nordamerika" sei.
Daß für die finsteren Pläne der Weltherrscher militärisches Eingreifen immer notwendiger
erscheint, zeigt wie sehr die Verhältnisse unter Druck stehen. Sollen diese Gestalten ruhig
schwätzen. Zwischen der Absicht, die Welt nach den Bedürfnissen von Arbeit und
Ausbeutung zu ordnen, und deren Realisierung liegen enorme Schwierigkeiten. Krisen- und
Konfliktherde ohne Ende. Zusätzlich zu den vom GS genannten, fallen mir ohne Nachdenken
ein: Irak, Kolumbien, die Dauerbrenner Sri Lanka, Kaschmir, Burma. Die verzweifelten
Versuche, die Hot-Spots militärisch (egal ob per internationaler Intervention, einheimischem
Militär oder Aufstandsbekämpfungseinheiten) in den Griff zu kriegen, ähneln mehr und mehr
dem Versuch, das Loch im Damm mit dem Daumen zu stopfen. Bezüglich der militärischen
Effektivität hat die NATO bei der Bombardierung Jugoslawiens nicht gut ausgesehen, und
nicht nur bei der Bundeswehr ist so ziemlich die Luft raus. Auch die Briten haben signalisiert,
daß sie jetzt erst mal kürzer treten wollen, weil bedeutende Kräfte im Kosovo gebunden sind.
Beruhigend ist das leider nicht. Schon zweimal hat es in diesem Jahrhundert wegen der für
das Kapital blockierten Situation Weltkriege gegeben. Kein Wunder, daß die USA nicht auf
ihre Atomwaffentests verzichten wollen.
Die Freunde der Zivilgesellschaft haben ebenfalls Interesse an einer weltweiten Herrschaft
des Recht. Zu Anhängern der "famosen Menschenrechte..., die nur das Recht auf
kapitalistische Ausbeutung sind," (Lafargue) werden in Zeiten der Klassenkampfflaute auch
Linke, keineswegs nur hierzulande (s.Brief aus Thailand). Viele holen im Kopf nach, daß sie
in ihrer Lebensführung den Frieden mit dem System geschlossen haben: als Wissenschaftler,
Betriebsräte, Vertrauensleute, Rechtsanwälte, Politkünstler, Zeitungsleute, Mitarbeiter von
NGOs, Hilfsorganisationen oder Beratungsstellen ... (Genossen, die nicht zu dieser
Freakshow gehören, sind zwar auch nicht gefeit, neigen meiner Erfahrung nach aber eher zum
Privatisieren/Sucht/Selbstmord/Wahnsinn, als dazu, direkt die Seite zu wechseln.) Mal
abgesehen davon, daß die von den Freunden der Zivilgesellschaft favorisierte Variante des
Kapitalismus eigene Schrecken beinhaltet, ist der humanitäre Kapitalismus genauso
unmöglich wie der humanitäre Krieg. Die Zivilgesellschaft hätte so gerne mehr das
demokratische und gutbürgerliche an der Diktatur der Bourgeoisie: Menschenwürde,
Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, freie Gewerkschaften, Wohlfahrtsstaat ... Dieses
Zuckerbrot ist jedoch nicht von der Peitsche zu trennen. Und immer wieder beweisen die
Freunde der Zivilgesellschaft, daß sie bereit sind, die Peitsche zu billigen: Zensur? Kein
Problem, wenns gegen Kinderpornographie oder Rechtsradikale ist. Razzien? Kein Problem,
wenns gegen das organisierte Verbrechen ist. Sanktionen? Kein Problem, im Golfkrieg haben
viele Anti-Kriegsaktivisten und Friedensorganisationen alternativ zur direkten Kriegsführung
eine Wirtschaftsblockade gegen den Irak verlangt. Durch ebensolche jahrelangen Sanktionen
kamen und kommen hunderttausende Iraker um. Militäreinsätze? Kein Problem, wenns im
humanitären Interesse ist. In Somalia haben Hilfsorganisationen die Intervention
herbeigerufen. Die Kriegsführung der NATO in Jugoslawien wurde durch die
Hilfsorganisationen, die sich um die durch die Bombardierungen erzeugten Flüchtlingsströme
kümmerten, abgesichert.
Trotz alledem ist es immer wieder unfaßbar, wie leicht die Medien manipulieren können und
wie leicht die Linken auf Interventionskurs einschwenken. Im Fall Kosovo haben zwar nur
Leute den Krieg unterstützt, die man sowieso schon lange nicht mehr als Linke bezeichnen
konnte. Im Fall Osttimor hat es in Australien jedoch eine gewaltige Massenmobilisierung für
die UN-Intervention gegeben, und die Bewegung wurde bis weit in die radikale Linke
mitgetragen. Die humanitäre Demagogie hat voll funktioniert. Hierzulande wäre es nicht
anders, wenn nur die Propagandamaschine hochtourig genug läuft. Schließlich halten viele
die UN für besser, weil ziviler, als die NATO. Den Koreakrieg haben sie wohl vergessen.
Außerdem hält die UN ja das Völkerrecht ein, ganz wichtig für einen großen Teil der NATO-Kriegsgegner. Aus den Anfangszitaten wird klar, daß gerade eine Umdeutung des
Völkerrecht im Gange ist. Genauso wie bei der neuen NATO-Strategie soll auch die UN im
Prinzip die Möglichkeit haben, sich überall einzumischen.
Was bleibt uns zu tun? In der australischen Diskussion um die Osttimor-Intervention schlägt
einer der Interventionsgegner umfassende weltweite Arbeiteraktion vor. Leider ist das z.Z.
illusorisch, wo sollte die so plötzlich herkommen? Man muß zugeben, in Australien hat es
Gewerkschaftsaktionen gegeben: Hafenarbeiter haben indonesische Waren nicht mehr ver-
und entladen, Post- und Telekomarbeiter keine Post zum indonesischen Konsulat zugestellt,
bzw. keine Reparaturen durchgeführt, Müllarbeiter dort den Müll nicht abgeholt, es gab
Blockaden/Boykotte bei der indonesischen Fluglinie Garuda und einiges andere. Die
Aktionen waren schon korrekt, und die Forderung, daß Indonesien sein Militär abziehen soll,
auch. Aber da auch die australische Regierung, bzw. die UN zum Handeln (d.h. zur
Intervention) aufgefordert wurde, war es nur konsequent, daß der Gewerkschaftsdachverband
die Blockaden beim Einmarsch der InterFET in OT aufhob.
Wir, und andere Interventionsgegner auch, haben versucht, die wirklichen Interessen hinter
den "humanitären" zu analysieren. Das ist nötig, aber nicht ausreichend. Denn auf die Frage,
wie das Morden gestoppt werden kann, haben wir keine Antwort. Weder für
Osttimor/Indonesien noch für Tschetschenien noch für die vielen Massaker, die sich
demnächst ereignen werden. Was bleibt ist das Gefühl ohnmächtiger Wut.
aus: wildcat-zirkular 54
Ludwigshafen, 17. Oktober 1999
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