Asienkrise vorbei?

Brief aus Thailand

(in English)

Obwohl etliche Experten, vom IWF bis zu den Wirtschaftsfachleuten der Regierung, behaupten, daß die Wirtschaftskrise in Thailand vorbei ist, sieht die Situation in Wirklichkeit völlig anders aus. Wenn man den Aktienindex oder den Wechselkurs nimmt, scheinen die Dinge nicht so schlecht zu stehen, aber dies sind kaum Indikatoren für echtes Wirtschaftswachstum. Vom Standpunkt der Mainstream-Ökonomie zeigen Investitionsniveau, Exporterträge und Inlandskonsum wesentlich besser, ob die Krise jetzt vorbei ist, oder nicht. Die Zahlen für diese Faktoren müßten erst noch deutliches Wachstum vorweisen. Aber viel wichtiger ist, wie sich die Krise auf das Leben der ganz normalen arbeitenden Bevölkerung auswirkt (etwas, was Mainstream-Ökonomen niemals in Betracht ziehen).

Einige Schätzungen geben die Zahl der Arbeitslosen mit 3-4 Millionen an. Aber da es keine Arbeitslosenunterstützung und Sozialleistungen nur ansatzweise für einen kleinen Teil der Arbeiter gibt, sind solche Arbeitslosenzahlen in der Regel bedeutungslos. Wichtiger ist der Rückgang der Standards und des Einkommens bei der Arbeit. Weil es keine Arbeitslosenunterstützung gibt, müssen die Leute jeden schlechtbezahlen Gelegenheitsjob machen, den sie finden können. Es gab einen bedeutenden Rückgang der Beschäftigungsstandards sowohl in städtischen, als auch in ländlichen Gegenden, aber besonders in den Städten. Das hat dazu geführt, daß mehr Kinder die Schule verlassen müssen, weil die Eltern sie nicht länger unterstützen können.

Vor der Krise war Thailand bezüglich der ungleichen Reichtumsverteilung in der Gesellschaft das fünftungleichste Land auf der Welt. Die Krise hat die Einkommensverteilung noch ungleicher gemacht. Es ist nicht schwer zu erkennen warum. Die Regierung hat die meisten Schulden reicher Privatleute verstaatlicht, die bei Aktien- und Immobilienspekulationen entstanden sind. Notleidende Kredite, die sich im Bankenwesen aufgehäuft hatten, wurden mit öffentlichen Geldern übernommen. Aber die Reichen bezahlen kaum Steuern und so fällt die Steuerlast auf die arbeitende Bevölkerung. Im Wesentlichen haben die Reichen ihre Schulden auf die Armen übertragen. Darüber hinaus versucht die Regierung mit Hilfe des IWF die thailändische Wirtschaft zu restrukturieren. "Restrukturierung" bedeutet hier die Zerstörung von Arbeitsplatzgarantien und -standards durch die Privatisierung von Staatsunternehmen und "Reformen" im Öffentlichen Dienst. Natürlich reden auch die Chefs der Privatwirtschaft über die Notwendigkeit von Kostensenkungen bei den Löhnen.

Die Tragödie besteht darin, daß die Linke wenig bis keine Antwort darauf gefunden hat. Traditionell wird die Linke in Thailand von nationalistischen und klassenkollaborationistischen Gedanken dominiert, ein Erbe der stalinistischen Kommunistischen Partei Thailands. Angesichts des Falls der Berliner Mauer kapitulierte die traditionelle Linke und die Bewegung der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor rechten Gedanken. Es gibt viel Geschätz über die Wichtigkeit der Mittelschicht und der Zivilgesellschaft. Es gibt viel Geschwätz über Nationalismus und die Notwendigkeit die Rolle des Staats gemäß neoliberaler Grundsätze zu reduzieren. Fort ist jeglicher Gedanke an Klassengrenzen. Stattdessen befürworten Aktivisten die "Rückkehr" zu ländlicher Subsistenzwirtschaft. Dies stellt sich als Vorschlag an Dorfbewohner heraus, kleine Geschäfte aufzumachen. Keine dieser Ideen richtet sich an die 60% der thailändischen Bevölkerung, die entweder städtische Arbeiter (blue collar oder white collar) oder arme landlose Dorfbevölkerung ist.

Notwendig ist der Wiederaufbau einer marxistischen Strömung, die sich auf Klassenfragen beziehen und einen städtischen Arbeiterkampf führen kann. Eine kleine Gruppe von Arbeiteraktivisten um die Zeitung Arbeiterdemokratie hat begonnen, sich dieser Aufgabe zu stellen. Es gibt auch vereinzelte Gruppen von ehemaligen KP-Mitgliedern, die wegen der Krise wieder aktiv geworden sind und versuchen, einen Weg nach vorne zu finden.

Hinsichtlich des offenen Klassenkampfs ist in Thailand in den letzten zwei Jahren wenig passiert. In Zeiten der Wirtschaftskrise, wenn die Leute Angst um ihre Jobs haben, ist das ganz normal. Es gab jedoch eine kleine Auseinandersetzung bei einer Triumph-Unterwäschefabrik, die eine Ahnung davon zeigt, was in der thailändischen Arbeiterklasse erreicht werden kann. Zum ersten Mal seit vielen Jahren gab es eine industrielle Auseinandersetzung ohne Hilfe der NGOs von außen, ohne "Kindermädchen". Hohe Gewerkschaftsvertreter und NGO-Aktivisten wurden aus dem Streikkomitee ausgeschlossen. Arbeiterinnen von der Basis führten ihren eigenen Streik, auf von Grund auf demokratische Weise. Obwohl der Streik nicht alles erreichte, was die Arbeiterinnen wollten, setzten sie immerhin eine 6% Lohnsteigerung durch und machte sichtbar Eindruck bei verschiedenen Regierungsfunktionären. Ein hoher Polizeichef gab die Bemerkung von sich, "dies war ein professionell geführter Streik, sie müssen jemanden hinter sich gehabt haben". Die thailändische herrschende Klasse verachtet die Arbeiter. Es käme ihnen niemals in den Sinn, daß einfache Arbeiter, besonders Frauen, einen Streik selbst führen können.

Ji Giles Ungpakorn
Bangkok, Thailand, 23.8.99

Thailand: Class Struggle in an Era of Economic
CrisisBuchtip:
Thailand: Klassenkampf in einer Zeit der Wirtschaftskrise

Über Thailand sind, u.a. wegen der Sprachbarriere, nicht leicht Informationen zu kriegen. Schon gar nicht Berichte, die einen politischen Blick "von unten" her bieten. Das allein wäre Grund, das im Februar 99 erschienene Buch von Ji Giles Ungpakorn über die moderne thailändische Arbeiterklasse in den späten 90ern zu empfehlen. Das Buch enthält einen kurzen Abriß der thailändischen Geschichte und der Rolle der Arbeiterklasse darin. Leider hält er die sonstige Betonung der entscheidenen Rolle der Arbeiterklasse gerade in der kurzen Darstellung der Wirtschaftskrise nicht durch - die ist auch bei ihm nicht viel mehr als ein Nichtfunktionieren des Systems zugunsten der Kapitalisten. Dennoch schildert der Autor ArbeiterInnen nicht als Opfer der Wirtschaftskrise. Sondern verweist auf die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen. Er berichtet über die verschiedenen Organisationen wie Gewerkschaften und wohlmeinende NGOs, die die Zurückhaltung ihrer Klientel und deren Verbundenheit mit thailändischem Nationalismus organisieren. Er berichtet vor allem über die Kämpfe und ihre Protagonisten selber, und das macht das Buch weit über das eingeschränkte Thema "Thailand" hinaus zu einem beachtenswerten Diskussionsbeitrag über die Zukunft des Klassenkampfs. Er stellt uns Bankangestellte, Metallarbeiter, Textilarbeiterinnen vor mit ihrem persönlichen Werdegang und ihren Kampferfahrungen.


 

 

 

Ji Giles Ungpakorn
Thailand: Class Struggle in an Era of Economic Crisis

Published by Asia Monitor Resource Center,
8B, 444 Nathan Road, Kowloon, Hong Kong
amrc@pacific.net.hk
http://www.amrc.org.hk/resource.htm

120 Pages, US$ 20

Da wohl nicht alle unsere Leser Englisch können, haben wir mit Einverständnis des Autors ein Kapitel aus dem Buch übersetzt:


Soziale Reform oder Soziale Revolution

ArbeiterInnen, Gewerkschaften, NGOs

Es ist nicht überraschend, daß man bei der Betrachtung der reformistischen und der revolutionären politischen Tendenzen in Thailand feststellt, daß die reformistische Tendenz in der Arbeiterklasse die bei weitem stärkere ist. Im Westen wird der Reformismus in der Arbeiterklasse gewöhnlich von Labour- oder sozialdemokratischen Parteien repräsentiert. In Thailand sind jedoch alle gegenwärtigen politischen Parteien mit der Kapitalistenklasse verbunden. Der thailändische Reformismus wird organisatorisch von verschiedenen "Nichtregierungsorganisationen" (NGOs) repräsentiert, die sich mit Arbeiterproblemen beschäftigen. Diese NGOs haben bedeutenden Einfluß auf die Politik der Gewerkschaftsführer.

Solche Labour-NGOs sind zum Beispiel die Arom Pongpangan Stiftung, Freunde der Frauen, die Gruppe Frauenförderung oder die Christlichen Jungen Arbeiter. Die meisten von ihnen haben Verbindungen zu internationalen Organisationen wie zum American Center For International Labor Solidarity (AFL-CIO /USA) oder der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD /Deutschland). Alle diese Gruppen haben eine Reihe gemeinsamer Anschauungen. Sie unterstützen aktiv Gewerkschaften und Arbeiterkämpfe, solange die sich an die Gesetze halten. Einige dieser Organisationen sind reaktionärer als andere. Einer Broschüre in thailändischer Sprache vom AFL-CIO zu "Gewerkschaften" gelingt es, das Wort "Streik" völlig zu vermeiden. Wie Gewerkschaftsvertreter mit einer Geschäftsleitung verhandeln sollen, ohne die Möglichkeit eines Streiks, wird nicht erklärt.

Alle NGOs setzen sich öffentlich gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Unrecht aus Arbeitersicht ein, aber sie glauben fest daran, daß eine bessere Gesellschaft innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems geschaffen werden kann. Sie behaupten, daß "Sozialismus und Marxismus" oder die Möglichkeit eines revolutionären Sturzes des Kapitalismus überholt seien. Der Fall des Stalinismus in Osteuropa und Rußland und der Zusammenbruch der stalinistischen Kommunistischen Partei Thailands werden dafür als Begründung genannt. In Wirklichkeit ist die KPT nie für die unmittelbare Überwindung des Kapitalismus in Thailand eingetreten. Sie verstand den Kampf als Kampf für die Schaffung einer kapitalistischen Demokratie aus einer "halbfeudalen, halbkolonialen" Gesellschaft.

Daß die NGO-Bewegung während und nach dem Zusammenbruch der stalinistischen KPen aufgeblüht ist, ist ein weltweites Phänomen, allerdings besonders häufig in Entwicklungsländern. Der Aufstieg der NGO-Bewegung repräsentiert eine Verschiebung von Klassenpolitik hin zur Politik fragmentierter Interessengruppen. Manchmal hängt das Wachstum der NGO-Bewegung vor allem mit der Unfähigkeit oder dem Fehlen politischer Parteien zusammen, die in der Lage sind, Forderungen der Armen aufzunehmen. Andererseits können die NGO-Aktivitäten ihrerseits zur Demobilisierung der Linken beitragen, indem Aktivisten aus den traditionellen Organisationen des Klassenkampfs zu sozialreformerischer Tätigkeit verleitet werden. In Thailand hat die NGO-Bewegung nach dem Ende der KPT-Revolte die Aura des Radikalismus geerbt.

Da die NGOs an die Reformierbarkeit des Kapitalismus glauben, sind sie sehr anfällig für liberale bürgerliche Ideen. Zum Beispiel unterstützten sie 1997 die neue Verfassung ohne größere Kritik, obwohl das Hauptziel dieser Verfassung die Schaffung politischer Stabilität zugunsten kapitalistischer Klassenherrschaft war. (...)

Obwohl die NGOs die der KPT unterstellten revolutionären Absichten, den Kapitalismus und den Staat zu stürzen, ablehnen, haben NGOs und KPT zwei Aspekte ihrer Ideologie gemeinsam. Zunächst einmal glauben sie, daß die ArbeiterInnen schwach sind und nur einen kleinen Teil der kämpferischen Massen ausmachen. Die KPT ignorierte die ArbeiterInnen weitgehend und organisierte bei den Bauern. Sie behauptete, ArbeiterInnen seien irrelevant. Die mit Arbeitern befaßten NGOs ignorieren die ArbeiterInnen selbstredend nicht, aber ihre Herangehensweise sieht ArbeiterInnen als Opfer, denen geholfen werden muß.

NGO-Aktivisten sind auch als "Pi-lieng" (ältere Geschwister oder Kindermädchen) bekannt. Diese Kindermädchen helfen den kindlichen Arbeitern dabei, Gewerkschaften zu organisieren, ihre gesetzlichen Rechte kennen zu lernen und sich bei Arbeitskämpfen ordentlich zu benehmen. Wenn es in einer Firma zu einem Konflikt kommt, werden NGO-Kindermädchen zu den Streikzelten der ArbeiterInnen vorm Fabriktor geschickt. Manchmal werden rebellische ArbeiterInnen wie Kinder ausgeschimpft und die, die dann immer noch nicht auf ihre NGO-Kindermädchen hören, im Stich gelassen. Oder schlimmer noch, sie werden isoliert und man duldet es, daß sie von der Geschäftsleitung bestraft werden, während sich die NGOs auf brävere ArbeiterInnen konzentrieren. Ein deutliches Beispiel ereignete sich 1998 beim Arbeitskampf bei Par Garment. Der Vertreter der Christlichen Jungen Arbeiter beschwerte sich über das "Problem", daß einfache Arbeiterinnen Druck auf örtliche Gewerkschaftsführer machten, den Kampf militanter zu führen. Die "Lösung" bestand darin, daß die meisten ArbeiterInnen von den Streikposten nach Hause geschickt wurden, um den Kampf von einer Handvoll Gewerkschaftsfunktionären fortsetzen zu lassen. Das führte unvermeidbar in eine Niederlage. Nach der Übereinkunft über die Rückkehr zur Arbeit wurden militante Gewerkschafter bestraft und diejenigen, die sich der Linie der NGO nicht untergeordnet hatten, wurden im Stich gelassen.

Solche NGO-Aktivitäten führen zwar zur Gründung von mehr Gewerkschaften mit besser geschulten Aktivisten, aber sie fördern auch die Abhängigkeit der ArbeiterInnen von den NGOs. Das paßt genau zu den institutionellen Bedürfnissen der NGOs, weiterhin ihre Tätigkeit auszuüben und weiterhin finanzielle Unterstützung (meist aus dem Ausland) zu erhalten. Eine NGO, die die ArbeiterInnen dazu agitiert, selbst aktiv zu werden und selbst die Führung des Kampfes zu übernehmen, riskiert es, überflüssig zu werden, da dann die ArbeiterInnen keine "Kindermädchen" mehr brauchen. Es ist außerdem recht zweifelhaft, ob eine solche NGO finanzielle Unterstützung von ausländischen Regierungen oder Institutionen bekommen würde.

Die zweite ideologische Position, die die NGOs mit der KPT teilen, ist der Nationalismus. Der thailändische Nationalismus ist eine sehr starke Tendenz in der Arbeiterklasse. Sowohl die herrschende Klasse als auch die KPT haben den Patriotismus gefördert. Der 1.Mai ist nicht als "internationaler", sondern als "Nationaler Tag der Arbeit" bekannt. Von Seiten der Gewerkschaften gab es kaum kritische Bemerkungen zur rassistischen Politik der Regierung. Diese hat während der Krise Burmesen, Kambodschaner und Laoten deportieren lassen, um "das Problem der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen". Natürlich hatte diese Politik keinerlei Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen. Denn die ausländischen ArbeiterInnen sind verzweifelt genug, um schmutzige, gefährliche und sehr schlecht bezahlte Jobs auf thailändischen Fischereiflotten und in Reismühlen anzunehmen - etwas, was thailändische ArbeiterInnen versuchen zu vermeiden. Diese rassistische Maßnahmen führten nur dazu, daß ausländische ArbeiterInnen noch mehr ausgebeutet und benachteiligt werden. Man muß anerkennen, daß einige NGOs Widerspruch gegen die Diskriminierung ausländischer ArbeiterInnen erhoben haben, aber das hatte keinen Einfluß auf die meisten Gewerkschaftsführer.

Die NGOs reden über Nationalismus und über die "nationalen Interessen" meist im Zusammenhang ihrer Opposition gegen den IWF und gegen fremdes Kapital. Diese Position kann am besten erklärt werden, wenn wir einen Blick auf die Strömungen des "linken Nationalismus" im heutigen Thailand werfen. (...)

aus: wildcat-zirkular 54


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15. September 1999