Alle Worte für "Arbeit" in den europäischen Sprachen-
lateinisch und englisch labor, griechisch ponos, französisch travail, deutsch Arbeit -
bedeuten ursprünglich Mühsal im Sinne von Unlust und schmerzverursachenden Anstrengungen (z.B. Geburtswehen).
In der Bibel ist die Arbeit die Strafe Gottes für den Sündenfall. Gott verflucht die
Menschheit: Mit Mühsal sollst du dich nähren ein Leben lang... In Schweiße deines
Angesichts sollst du dein Brot essen.
In der Antike galt Arbeit als unwürdig für einen freien Menschen. Auf der Werteordnung der
Tätigkeiten standen Philosophie und Politik oben, der freie Handwerker unten und das
allerletzte waren die Sklaven. Arbeit wurde verachtet, weil sie Körper und Geist verrohe.
Sklaverei wurde damit gerechtfertigt, daß sie nötig sei, um die Bürger von notwendiger
Arbeit freizusetzen.
Im Mittelalter verstanden die Mönche die Arbeit unter der Formel "ora et labora" als
Sündenabtragung. Neben diesem religiösen Makel war die Arbeit auch mit sozialer Schande
behaftet: manuelle Arbeit wurde nur von den unteren Gesellschaftschichten verrichtet.
Mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft wird die Arbeit vom biblischen Fluch
zum irdischen Segen umgedeutet. Ideologischer Träger der bürgerlichen Arbeitsethik wird die
Reformation. Die ersten Ansätze zur Entwicklung einer "kapitalistischen Ethik" sind
entstanden mit der Entstehung der Frühmanufaktur. Den unternehmerischen Erfordernissen
wie Sparsamkeit und Unterdrückung der Genusssucht entspricht auf religiöser Ebene der
Calvinismus und andere puritanische Ideologien.
Auf Arbeiterseite mußten Widerstände gegen die kapitalistische Produktionsweise
überwunden werden. Das beim ländlichen wie städtischen Menschen tiefsitzende Unbehagen
bezüglich der Unterordnung unter einen streng beaufsichtigten Arbeitsprozeß mußte erst
ausgemerzt werden.
Das Manufaktur- und später Fabrikwesen braucht Arbeiter, die im Gegensatz zu den
Zunfthandwerkern ihre Arbeitskraft ohne hemmende Vorschriften frei verkaufen konnten.
Und die im Gegensatz zu den Leibeigenen persönlich frei waren, nicht an die Scholle
gebunden. Diese persönlichen Unfreiheiten des Feudalismus waren jedoch auch verbunden
gewesen mit sozialen Garantien: der Grundherr konnte dem Bauern nicht einfach kündigen.
Außerdem war der Bauern zwar nicht Eigentümer, sehr wohl aber Besitzer von Grund und
Boden. Das Ende des Feudalismus entläßt Scharen von Menschen in eine doppelte Freiheit:
persönliche Freiheit im bürgerlichen Sinne und Freiheit von den Mitteln, sich die Mittel zum
Leben zu verschaffen.
Als Scharen von vertriebenen
Bauern, Bettler, Vagabunden und Arbeitslose in die Städte ziehen, bei gleichzeitigem
Arbeitskräftemangel, zeigt die bürgerliche Gesellschaft, daß es mit den persönlichen
Freiheiten nicht weit her ist. In ganz Westeuropa entstehen Gesetze gegen Vagabundiererei.
Landstreicher werden ausgepeitscht, gebrandmarkt, zu Zwangsarbeit verurteilt, hingerichtet.
Aber, wie Marx es formuliert: "Es ist nicht genug, daß die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als Kapital treten und auf den anderen Pol Menschen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt nicht, sie zu zwingen, sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt."
Die bürgerliche Gesellschaft setzt spätestens Ende des 18. Jhd. ihr Arbeitsethos ideell und materiell auch bei den Arbeitern durch. In der Abgrenzung zum Feudaladel und zum Lumpenproletariat sind sich Bürgertum und Arbeiterklasse einig in der Polemik gegen Faulheit und Müßiggängerei
"Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalitische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht.", schreibt der französische Kommunist Paul Lafargue 1880 in seiner Schrift Le Droit à la Paresse, Das Recht auf Faulheit. Nun weiß Lafargue natürlich, daß nicht die Arbeitssucht die Arbeiter quält. Er schreibt: "Statt in Zeiten der Krise eine Verteilung der Produkte und allgemeine Belustigung zu verlangen, rennen sich die Arbeiter vor den Fabriktoren die Köpfe ein. Mit eingefallenen Wangen, abgemagertem Körper überlaufen sie die Fabrikanten mit kläglichen Absprachen: Lieber Herr Chagot, bester Herr Schneider, geben sie uns doch Arbeit, es ist nicht der Hunger, der uns plagt, sondern die Liebe zur Arbeit."
In dieser Schrift greift Lafargue auch das "Recht auf Arbeit" an, eine Forderung, die die
Arbeiterbewegung während der ersten Hälfte des 19. Jhd. geprägt hat. Diese Forderung ist
nur in den besonderen Produktions- und Eigentumsverhältnissen des Kapitalismus möglich.
Keinem Sklaven der Antike, keinem mittelalterlichen Leibeigenen wäre so ein Wunsch in den
Sinn gekommen.
Die entstehende Arbeiter- und Gewerkschaftbewegung kämpfte erfolgreich gegen die langen
Arbeitszeiten, niedrige Löhne, für soziale Absicherung etc. Sie argumentierte gegen die
private Aneignung des Mehrwerts, das Chaos der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die Arbeit
selbst wurde bejaht. Denn die tragende Schicht von Gewerkschaften und Sozialdemokratie
waren die Facharbeiter mit ihrer besonders stark verinnerlichten Arbeitsmoral und Disziplin.
Bis hin zum Leninismus, in dem die Steigerung der Arbeitsleistung mit Sozialismus
gleichgesetzt wird.
Dabei hatte schon Marx in der Schrift Die deutsche Ideologie von 1845 die kommunistische
Revolution dadurch von allen anderen Revolutionen unterschieden, daß sie sich "...gegen die
bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit
den Klassen selbst aufhebt, ...".
In den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten von 1844, den sogenannten Pariser Manuskripten, setzt sich Marx u.a. mit der entfremdeten Arbeit auseinander.
Entfremdet ist:
1. Das Verhältnis des Arbeiters zum Produkt der Arbeit als fremden und über ihn mächtigen
Gegenstand
Mir als Schlosser ist es völlig egal, ob die Firma, bei der ich arbeite, Traktoren herstellt, oder
Flugzeugteile. Ich entscheide mich für eine Stelle nach der Höhe des Lohns. Was da
produziert wird, darauf habe ich keinen Einfluß, das geht mich nichts an.
Entfremdet ist:
2. Das Verhältnis zum Akt der Produktion innerhalb der Arbeit.
Was ich dann auf Arbeit mache, wird mir vorgegeben. Mein Antrieb ist nicht die Lust zum
Montieren, Schrauben, Sägen etc., sondern die Notwendigkeit zum Geldverdienen. Bitter,
wenn man daran denkt, daß man fünf mal pro Woche acht Stunden lang etwas tut, nicht weil
man dies tun will, sondern weil man einmal im Monat den Lohnscheck braucht. Marx
formuliert das so: Denn erstens erscheint dem Menschen die Arbeit, die Lebenstätigkeit, das
produktive Leben selbst nur als ein Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses, des
Bedürfnisses der Erhaltung der physischen Existenz. Daß manchmal Arbeit sogar Spaß
macht, ändert nichts an der Entfremdung, der Spaß ist ein zufällig eintretender Nebeneffekt.
Die Fremdbestimmtheit wird dadurch nicht aufgehoben.
3. Der Mensch wird sich selbst entfremdet
Körper und Geist werden werden zum Arbeitsmittel. Arbeiter, ich kenne das von mir selbst,
sind ungeheuer rücksichtslos gegenüber der eigenen Gesundheit, geschweige denn dem
eigenen Wohlbefinden. Harmlosestes Beispiel ist noch das Weckerklingeln am Morgen. Alles
in einem drängt danach liegen zu bleiben, aber der Arbeiter im Menschen bringt einen doch
zum aufstehen. Nicht so harmlos ist es, daß auch akute Schmerzen, chronische Erkrankungen
oder Unfälle wegen der Arbeit in kauf genommen werden.
4. Die Entfremdung des Menschen von dem Menschen
Wie der Mensch sich selbst gegenüber steht, so steht er auch anderen Menschen gegenüber.
Plakativstes Beispiel sind die Krankenschwestern, die nicht von Herrn Müller reden, sondern
vom Herzinfarkt auf Zimmer 9.
Diese Entfremdung hat ihre Grundlage in der kapitalistischen Mehrwertproduktion.
Mehrprodukt hat es in allen Klassengesellschaften gegeben. Es ist der Unterschied zwischen
dem Produzierten und dem, was die Produzenten selbst verbrauchen. Die herrschenden
Klassen haben sich dieses Mehrprodukt angeeignet. Im Unterschied zum vorkapitalistischen
Mehrprodukt, bei dem z.B. der Graf dem Bauern 10 Gänse oder drei Tage Frondienste
abgenötigt hat, ist die konkrete Beschaffenheit dieses Mehrprodukts im Kapitalismus ohne
Belang, da sie sich in Geld ausdrückt. Und Geld kann man bekanntlich nie genug haben.
Natürlich muß sich das Geraffel verkaufen lassen, insofern haben die Waren im Kapitalismus
auch Gebrauchswert, sonst ließe sich der Tauschwert nicht realisieren. Aber mit welcher
konkreten Tätigkeit, bohren, singen, Regale einräumen, welches konkrete Produkt erzeugt
wird, Traktor, Meinungsumfrage, Sahnepudding, ist völlig gleichgültig.
Und bei den Arbeitenden gibt es ebenfalls diese Gleichgültigkeit gegenüber den
Gebrauchswerten, deren Erzeugung und den Folgen davon, Hauptsache Geld verdient.
Deshalb wird heute beim Arbeiten wahrscheinlich mehr zerstört als produziert.
Bei den Linken kommen die Arbeiter dabei immer gut weg. Es ist die BASF die den Rhein
verschmutzt, die Chemieindustrie, die giftige Agrochemikalien produziert, die
Lebensmittelindustrie, die Gentechnik einsetzt, etc.
In der wirklichen Welt gibt es die Industrie, die da irgendwas macht, natürlich nicht.
Es sind die Chemiearbeiter, die das Gift in den Rhein leiten,
die Biologielaboranten, die die Genversuche durchführen,
die Programmierer, die die Software zur Verfügung stellen,
die Plantagenarbeiter, die Borneo brandroden und damit den Bewohnern von Kuala Lumpur
die Luft zum Atmen nehmen,
die Lehrer, die den Kindern genau das beibringen, was der Kapitalismus nötig hat.
Natürlich, alle sind beteiligt, das persönliche Maß der Schuld läßt sich nicht feststellen, da
alle Verantwortung tragen und sie keiner wahrhaben will, sich alle auf eine Art
Befehlsnotstand rausreden können. Auch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger leben vom
Mehrwert.
Alle die arbeiten, produzieren über ihre Arbeit gemeinsam diese verrückte Welt. Und sie
reproduzieren die Verhältnisse, die immer weitere Arbeit notwendig macht. Und genau
deshalb gibt es noch Hoffnung:
Weil die Arbeitenden die Verhältnisse produzieren, deshalb können sie auch damit Schluß machen. Es reicht einfach aus, die Arbeit zu beenden.
Die Sehnsucht der Arbeiter nach einem besseren Leben ist zwar zurück gedrängt, bricht aber immer wieder aus. Schwätzchen halten mit den Kollegen, Pausen überziehen, krankfeiern, streiken. Dann weigert sich die Arbeitskraft Arbeit zu werden. Das ist Klassenkampf. Die Weigerung der Frauen, länger kostenlos Hausarbeit zu verrichten, der Kampf nichtindustrieller Gesellschaften dagegen, "zivilisiert" zu werden, lieber studieren als gleich arbeiten zu gehen - all das ist Verweigerung der Arbeit. Diese Verweigerungen ändern allerdings nichts am allgemeinen Arbeitszwang in dieser Gesellschaft. Um den abzuschaffen, ist eine Abschaffung dieser Gesellschaft nötig, eine Revolution. Revolution ist nicht nur nötig, um die herrschende Ordnung zu beseitigen, sondern auch als Prozeß der Selbstveränderung der Beherrschten. Um sie zu befähigen, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen.
So einfach ist das natürlich nicht. Neben den Schwierigkeiten, die auf dem Weg zur
Revolution liegen, gibt es immer die Frage, wer denn dann die Brötchen backt. Dahinter
steckt der abgedroschene bürgerliche Einwand, daß der Kommunismus notwendigerweise
daran scheitert, daß jeder harte und unangenehme Arbeit (Müllabfuhr) auf andere abwälzen
möchte. Ich möchte darauf mit der Bemerkung des französischen Revolutionärs Blanqui
antworten: " 'Wer denn im Sozialismus die Nachttöpfe hinaustragen wird?' Das läßt sich auf
die simple Frage 'Wer dann meinen Nachttopf hinaustragen wird' reduzieren."
(Nebenbei zeigt dieses Beispiel auch, wie manche Frage von selbst verschwindet.)
Bei der Möglichkeit zur
Abschaffung der Arbeit liegt einiges auf der Hand:
Die Arbeit der Verkäuferinnen ist nur deshalb nötig, um den Mehrwert der Lebensmittel zu
realisieren. Weg damit.
Die Arbeit der Versicherungsangestellten ist nur nötig, weil wir in einer unsolidarischen
Gesellschaft leben, in der es nicht selbstverständlich ist, daß jeder mit allem Nötigen versorgt
wird.Weg damit.
Die meiste Arbeit der Automobilarbeiter ist nur nötig, um Autos zu produzieren, mit denen
sie selbst und andere Arbeiter wiederum zur Arbeit fahren. Der meiste stattfindende Verkehr
ist nämlich der Berufsverkehr. Weg damit.
Über die Arbeit von Soldaten, Polizisten, Professoren, Sozialarbeitern und anderen, die nur
die Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten, brauchen wir erst gar nicht zu reden. Weg damit.
Die Arbeit der LKW-Fahrer, die im Zeitalter der Globalisierung die Zulieferteile durch ganz
Europa gondeln. Weg damit.
Die Arbeit der Werbeheinis, die uns jeden Scheiß andrehen wollen und die Arbeit der
Drucker, die dafür die Prospekte drucken und die Arbeit der Maschinenschlosser, die dafür
die Druckmaschinen bauen und die Arbeit der Bauarbeiter, die dafür die Fabrikhallen bauen
und die Arbeit der Prospektverteiler. Weg damit.
Laßt eure Phantasie los. Der Kapitalismus hat doch gezeigt, daß keine konkrete Arbeit ewig ist: Getreidemähen, Dienstbotenarbeit, Bleisatz. Das wenige an notwendiger Arbeit, das übrig bleibt, wenn sich nicht nur Ingenieure und Techniker, sondern die Gesellschaft als ganze sich um die Abschaffung der Arbeit bemüht, ich glaube, darum werden sich die Leute eher reißen.
Ich ende mit einem Zitat aus Lafargues Recht auf Faulheit, worin schon vor über hundert Jahren die Notwendigkeit, die Möglichkeit und die Schwierigkeit der Abschaffung der Arbeit formuliert wird:
"Wenn die Arbeiterklasse sich das Laster, welches sie beherrscht und ihre Natur herabwürdigt, gründlich aus dem Kopf schlagen und sich in ihrer furchtbaren Karft erheben wird, nicht um die famosen Menschenrechte zu verlangen, die nur die Rechte der kapitalistischen Ausbeutung sind, nicht um das Recht auf Arbeit zu fordern, das nur das Recht auf Elend ist, sondern um ein ehernes Gesetz zu schmieden, das jederman verbietet, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten, so wird die alte Erde, zitternd vor Wonne, in ihrem Inneren eine neue Welt sich regen fühlen... aber wie soll man von einem durch die kapitalistische Moral korrumpierten Proletariat einen männlichen Entschluß verlangen!"
(Referat, 1998)
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