Bericht vom Beijing-Pop-Festival 2006
Ein chinesischer Freund, der in Beijing lebt, schreibt:

Der Veranstalter möchte gerne noch mehr Schimpfwörter hören...

Das Wichtigsten ist, daß SEBASTIAN BACH auftrat. Das war wirklich eine überraschende und frohe Botschaft für die Fans in China. Kaum zu glauben, daß die chinesische Regierung einer Heavy Metal Band, wie der um den früheren SKID ROW-Sänger, gestattet, in China zu spielen. Beim Rock-am-Ring habe ich BACH gemeinsam mit GUNS 'N' ROSES "My Michelle" singen gehört, das war jetzt also sein zweiter Auftritt, den ich miterleben durfte. (In Deutschland gabs außerdem noch METALLICA) Warum durfte BACH in China spielen? Bedeutet das, China ist jetzt wirklich offen? Gibt es echte Demokratie in China? Ist der Rock-n-Roll in China lebendig? Mit diesen Fragen und in Rock-n-Roll-Stimmung kaufte ich mir die Eintrittskarten. In China ist es normalerweise einfach, die Karten noch kurz vor Beginn der Veranstaltung von Schwarzhändlern zu kaufen, aber diesmal war mir das zu riskant. Ich fürchtete, daß angesichts der vielen BACH-Fans ausverkauft sein würde - dann hätte ich nur noch meinen Kopf gegen das Tiananmen-Tor schlagen können, genau unter dem Mao-Bild. Also kaufte ich das Ticket ganz offiziell ein Woche vorher.

Als ich am ersten Tag mit Freunden zur Hauptbühne ging, stellten wir schockiert fest, daß direkt vor der Bühne ein Areal von 150-200qm abgegrenzt war, der sogenannte VIP-Bereich. Nur die verdammten VIPs durften da rein und der ganze Berich war bestuhlt. War hier etwa ein Klassikkonzert oder Open Air Kino? Das war so seltsam und lächerlich, daß mir nur Schimpfwörter einfielen. Ich fragte, ob man das VIP-Ticket noch zukaufen könnte. Die Antwort: "Unmöglich, der VIP-Bereich ist nur für VIPs." Ich denke, wenn man auf Stühlen sitzend BACH zuhört, dann ist das eine Beleidigung für ihn und den ganzen Rock-n-Roll. Ich bin mir ziemlich sicher, daß sowas nur in China passieren kann. Das ist, als ob man im Pyjama Golf spielt, in Hausschuhen zu einer Party geht, in bunten Klamotten an einer Beerdigung teilnimmt, oder beim Sex einen Regenmantel anhat.

Wir konnten also nicht wirklich dicht an die Bühne ran, aber wir waren direkt hinter der Absperrung, in der ersten Reihe der echten Fans, auf einer großen und schönen Rasenfläche. Am ersten Tag traten hauptsächlich Punk-Bands auf, außerdem eine schwarze US-amerikanische R&B Band, einige Pop-Gruppen. Es waren nicht wirklich viele Leute da, ca.3000. Die beste Gruppe an dem Tag war XIE TIAN XIAO, die beste Grunge-Band in China.

Am zweiten Tag ging ich mit meinen Freunden sehr früh hin, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Wir trugen selbstbemalte T-Shirts. Wir trafen einige Leute, die wir schon vom vorigen Tag kannten und freundeden uns mit ihnen an. Sie waren von weither gekommen: Tianjin, Baotou, Changchun, Xian, Handan, etc. Einige waren allein gekommen, aber jetzt waren sie nicht mehr allein. Zum Rock-am-Ring war ich auch allein gefahren (ich studierte damals Französisch in Frankreich), aber ich lernte in Deutschland beim Festival neue Freunde kennen.

Die erste Band, die an diesem Tag spielte, fand ich ganz gut, auch das Gitarrensolo. Aber da sie viel Zeit für Aufbau des Equipments und Soundcheck brauchten, blieb ihnen wenig Zeit zum Spielen. Die zweite Band kam aus der Provinz Xizang, ihr Ethno-Faktor war ziemlich hoch. Die hohe Stimme der Sängerin klingt zwar gut, aber Ethno und Rock-n-Roll paßt bei ihnen nicht gut zusammen.

Die dritte Band war die Industrial Metal Band AK 47. Die Musiker trugen grüne Armee-Klamotten, cool. Großartige Stimmung, sogar besser als gestern bei XIE TIAN XIAO, beinahe so gut wie bei BACH. Ihre Musik ist ähnlich wie die der bekannten deutschen Band RAMMSTEIN, wir riefen zwischen einem Stück und dem nächsten: Ich will "MUTTER". Wir tanzten Pogo, bangten our heads, zerrissen Papier und warfen es in die Luft. Einige benutzten Papiergeld, um Konfetti zu machen, wahrscheinlich 1-Yuan-Scheine. Die chinesische Währung ist nicht viel wert, ein Euro = 10 Renminbi (Yuan); als ich in Frankreich studiert habe, war ich arm. Wenn hier mal GUNS N ROSES auftreten, dann macht vielleicht jemand Konfetti aus 100-Yuan-Scheinen...

Die nächste Band kam aus England, der Schlagzeuger war gut, jemand rief: "Schlagzeugsolo, wir wollen Schlagzeugsolo."

Danach kam CJ aus den USA (bin mir aber nicht ganz sicher), sie haben eine hübsche Sängerin und machen Pop Metal. Bei ihrem Auftritt passierte etwas Schockierendes: Zwei Ausländer im VIP-Bereich fingen an zu tanzen, anscheinend die einzig echten Fans im VIP-Bereich! Nach dem Stück ging einer der Manager der Konzertagentur zu ihnen, offenbar um sie von weiterem Tanzen abzuhalten. Ich konnte nicht verstehen, was er zu ihnen sagte, aber die Gesten waren eindeutig. Da sie Ausländer waren, konnte er keine Gewalt einsetzen und sie nicht kontrollieren. Manchmal hörten sie auf zu tanzen, wenn die Musik langsam wurde, dann dachte er wohl, er hätte gewonnen, aber sobald der Rythmus schneller wurde, machten sie weiter. Der Manager schaute ziemlich ärgerlich und dumm aus der Wäsche. Beim letzten Stück bat die Sängerin acht Zuschauer auf die Bühne, um sich mit ihnen zu unterhalten, aber der Veranstalter erlaubte das nicht, deshalb mußte sie vor der Bühne mit den Zuschauern reden. Die beiden Ausländer wollten auch nach vorne. Der Veranstalter wurde sichtlich nervös, ihr ganzes Verhalten erschien ihm wohl kriminell, und wollte sie aufhalten. Die Sängerin hörte auf zu singen, sagte. "Das ist unfassbar", deshalb konnten die beiden schließlich doch nach vorne gehen. Wir alle denken, daß sie einen Sieg errungen hatten. Meine Freunde und ich wollten auch nicht untätig sein und riefen: "Fuck the police", bestimmt haben sie das gehört.

In der Pause, als das Equipment für BACH vorbereitet wurde, wurde über Lautsprecher Musik von CD gespielt: "Smells like Teen Spirit" "Sweet Child of Mine" "Battery"... Wir sangen alle mit und fühlten uns gut. Genau das ist ein Teil von dem, was uns ein Musik-Festival geben soll.

Jetzt wurde der VIP-Bereich zum ersten Mal richtig voll. Wir skandierten: "VIPs- Shabi". Shabi ist ein chinesisches Schimpfwort, besonders populär in Bejing. Wörtlich übersetzt bedeutet es "Dumme Votze" (Anm.: wird etwa so benutzt wie "Scheiße"). Und wir riefen: "VIP- fick deine Mutter". Sie schauten sich um, wer denn ihre Mütter fickt, aber da sie die Ärsche nicht von ihren Stühlen hochkriegten, konnten sie sonst nix tun.

Und wir riefen "Fick deine Mutter, Veranstalter" "Veranstalter - shabi". Ich glaube, der Veranstalter würde gerne noch mehr Schimpfwörter hören, dann kann er noch mehr Tickets verkaufen und noch mehr Geld verdienen.

BACH spielte sehr laut, viel lauter als die anderen Bands, richtiges amerikanisches Metal- Feeling. Alle tanzten, alle wollten nach vorne, alle drehten durch, also wurde die dreifache Menge Security aufgeboten. Ein Ausländer wollte Pogo tanzen, aber seine Tasche war zu schwer, er bat einen vom Sicherheitspersonal, drauf aufzupassen. Wegen Sprachproblemen mischte sich ein chinesischer Junge ein, er sagte, da sei eine Bombe drin, der Security-Typ wurde ganz blaß...

Es wurde Pogo getanzt, gecircled und Crowd gesurft. Als noch eine Reihe Sicherheitsleute die wilden Fans zur Ruhe bringen sollten, packte ein Fan einen von den Security-Typen hoch und trug ihn einfach fort, haha...

Nachdem BACH gespielt hatte, sangen wir: "18 and life you got it..." Dann sahen wir, daß die Polizei einen ohnmächtigen Mann forttrug, schwer zu sagen. ob Chinese oder Ausländer. Wir hörten, daß der Mann versucht haben soll, in den VIP-Bereich einzudringen, und deshalb verprügelt worden war. Andere hatten auch Schläge bezogen, aber ihn hatte es am schwersten erwischt. Jemand photographierte den Ohnmächtigen, aber die Polizei beschlagnahmte die Kamera. Der Polizist sagte: "Du sollst nur photografieren, was man photografieren darf; photografier nicht, was nicht photografiert werden darf."

Ein Mann, der wie ein alter Journalist aussah, sagte zu uns: "Angesichts der kommenden Olympischen Spiele will die Regierung der Welt ihre offene Einstellung demonstrieren, also laden sie einen berühmten Heavy Metal Star ein. Aber nur das darf berichtet werden, was dem Plan entspricht, was dem nicht entspricht, darf nicht berichtet werden, niemals..."

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2. Oktober 2006