Asien Aktuell Spezial
Die Party ist vorbei - jetzt auch in Vietnam
"Die Arbeitskämpfe kommen zu einem kritischen Zeitpunkt, da viele japanische Firmen
gerade ihre Fabriken von China und anderswo nach Vietnam verlegen", schreibt die Asahi
Shimbun (3.2.06). Seit Dezember letzten Jahres werden die Weltmarktfabriken in Vietnam
von einem Streik nach dem anderen überzogen. Der Schwerpunkt liegt in den südlichen
Regionen, vor allem in Ho-Chi-Minh-Stadt und Bien Hoa.
Wie sich diese Kämpfe organisiert haben, wissen wir nicht. Unsere Informationslage
bezüglich Vietnam ist noch schlechter als etwa zu China. Klar scheint zu sein, daß die
offizielle Staatsgewerkschaft in keinerlei Hinsicht beteiligt war. Zum Teil, weil sie in vielen
Firmen mit ausländischem Kapital gar nicht vertreten ist; zum Teil, weil sie von den
ArbeiterInnen gar nicht für zuständig gehalten worden ist. Die Streiks sind - rein juristisch
gesehen - allesamt illegal.
Vietnam - viele Jahre lang ein Paradies für die Kapitalien, die auf der Ausbeutung von
Massenarbeitskraft beruhen. Freundliche Behörden, gute Infrastruktur und vor allem eine
relativ gut ausgebildete Arbeitskraft. Die Löhne sind niedriger als in China, etwa so hoch wie
in Indonesien. Aber im Gegensatz zu den Indonesiern zeichnete die vietnamesischen
ArbeiterInnen aus, daß "sie nicht so gerne streiken" - so der Chef der Europäischen
Handelskammer in Vietnam.
Zuerst waren Fabriken in taiwanesischem Besitz betroffen, weil dort die Löhne und
Arbeitsbedingungen am schlechtesten sind. Aber es hat schnell übergegriffen auf andere
Fabriken, quer durch alle Branchen. Etwa eine Million ArbeiterInnen arbeiten in den
ausländischen Textil-, Schuh, Elektronikfabriken. Seit Jahren hatte es keine Erhöhung mehr
gegeben. Auch wenn die Löhne in den ausländischen Fabriken deutlich höher sind als etwa in
Staatsbetrieben, reichen sie oft nicht, eine Familie zu ernähren. Die Arbeitsbedingungen
(etwa Belastung durch Gift, mangelhafte sanitäre Einrichtungen) sind oft katastrophal, die
Arbeitszeiten lang. Deshalb drehen sich die Streiks auch nicht nur um die Löhne; es geht
immer auch um jeweils konkret andere Forderungen.
Die Wucht dieser Streikwelle hat die Regierung dann schnell veranlasst, eine 40 %ige
Erhöhung des Mindestlohns in FDI (foreign direct investment)- Fabriken für den 1. Februar
06 zu verordnen. Es ging wohl vor allem darum, die Ausweitung der Streiks auf die Joint
Ventures und die Staatsbetriebe zu verhindern. Vielleicht spekulierten die Behörden, daß die
Erhöhung eines Lohnbestandteils nicht unbedingt zur drastischen Steigerung des
Gesamtlohnes führen muß. Aber genau daran entzündete sich die zweite Streikwelle etwa ab
Anfang Februar. Die Firmen erhöhten einfach den Grundlohn entsprechend der
Regierungsverordnung und senkten dafür die Zulagen. Das hat vor allem die
"Stammbelegschaften" erbost, denn eine der wichtigsten Zulagen ist die Zulage für
Betriebszugehörigkeit.
Die Streikwelle dauert noch an und es wird auch schon von ersten Aktionen in
Staatsbetrieben berichtet - deren Beschäftigte sehen gar nicht ein, daß sie viel weniger
verdienen sollen. Soweit wir wissen haben sich bis jetzt die Behörden sehr zurück gehalten
und sich auf das Vermitteln beschränkt.
Dokumentation der letzten Meldungen auf Asien Aktuell; Stand 3.3.06
(Ältere Meldungen: 4710, 4696, 4692, 4109, 3906, 3393, 3182, 2090, 763)
Vietnam |
|
Streikboom |
4724 |
Seit 1995 bis jetzt hat man fast 900 Streiks gezählt, in diesem Jahr scheint sich aber ein
Streikboom abzuzeichnen, vor allem in Fabriken mit ausländischem Kapital. Die
Hauptforderungen sind üblicherweise mehr Geld und mehr Respekt. Aber auch Arbeitszeit
und Arbeitsbedingungen geben Anlaß zu Protest. Viele Firmen zahlen nur den gesetzlichen
Mindestlohn, der aber mit den Lebenshaltungskosten nicht mithält, wie auch das
Ministerium für Arbeit, Kriegsopfer und Soziales zugibt. Der Grundlohn in taiwanesischen
Fabriken ist etwa 500 000 Vietnamesische Dong (~ 26,4 Euro) im Monat. In japanischen
Firma beträgt er etwa 700 000 VND, in europäischen 800 000 VND. Mit Zulagen kann ein
Arbeiter/ eine Arbeiterin auf 1 Million VND im Monat kommen. |
aufgenommen: So., 3.7.2005 |
Quelle: Thanh Nien Daily, (ca Anf. 7/05) |
Vietnam |
23.11.05 |
Erfolgreicher Streik |
4895 |
Provinz Quang Nam,
Zentralvietnam: Mehr als 1000 von 5000 ArbeiterInnen der Rieker Viet Nam Schuhfabrik
(Kapital aus Hong Kong) streikten einen Tag für höhere Löhne, bessere
Arbeitsbedingungen (z.B. gibt es noch nicht mal eine Ambulanz, um Unfallfolgen zu
behandeln) und besseres Essen. Die erste Reaktion des Chefs war, sie alle zu entlassen.
Nach einem Treffen mit Behörden und (Staats-)Gewerkschaft nahm er das zurück und
stimmte einer Lohnerhöhung und weiteren Verbesserungen zu. Die Fabrik hat erst Anfang
diesen Jahres (Thanh Nien: vor anderthalb Jahren) die Produktion aufgenommen; die
Gewerkschaft ist noch nicht im Betrieb vertreten. |
aufgenommen: So.,
27.11.2005 |
Quelle: Vietnam News,Thanh Nien Daily, 25.11.05 |
Vietnam |
Januar
2006 |
Streikwelle |
4941 |
In zahlreichen, meist ausländischen Fabriken, finden Streiks statt, bei denen es um höhere
Löhne geht, aber auch um überlange Arbeitszeiten, mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz,
etc. Die Streiks begannen in Ho Chi Minh Stadt. Einige ausländische Firmen, wie Kollan,
Hugo (Bekleidung, Hong Kong) und Latex (taiwanesischer Schuhhersteller) haben
daraufhin ihren Beschäftigten am 4. und 5. Januar freigegeben. Andere Firmen (z.B. Yuji,
Südkorea, KP, USA) haben bereits Tarifverträge abgeschlossen. Am 5.1. gab es 5 neue
Streiks in Ho Chi Minh City. In Binh Duong gibt es Streiks beim taiwanesischen
Hemdenhersteller Beautech Vina (1000 Streikende), der koreanische Bekleidungshersteller
Eins Vina Garment Company (400 Streikende), Yaban Chain Industrial Co Ltd. Um
streikende Arbeiter ruhigzustellen, hat die Full Co Ltd angeboten, die Kosten für das
Mittagessen nicht mehr vom Lohn abzuziehen. Am 31. Dezember 2005 hat das
Arbeitsministerium und der Vietnamesische Gewerkschaftsbund einen Antrag auf 40%ige
Erhöhung der Mindestlöhne in ausländischen Firmen beim Premierminister eingereicht. |
aufgenommen: Sa., 7.1.2006 |
Quelle: Vietnamnet, 6.1.06 |
Vietnam |
Ende Dez.
05 bis Jan
06 |
Streiks |
4943 |
Vom 28. Dez. bis 7.1. gab es 59 Streiks in ausländischen Firmen, davon richteten sich 25
Streiks gegen taiwanesische Firmen. bei den Streiks geht es um höhere Löhne und bessere
Arbeitsbedingungen. Am 28. Dez. gingen 18 000 Arbeiter der Freetrend Shoe Co. in Ho
Chi Minh City in den Streik. Bei einigen Streiks ging Firmeneigentum zu Bruch. |
aufgenommen: Mo., 9.1.2006 |
Quelle: The China Post, 9.1.06 |
Vietnam |
9.1.06 |
Streikwelle zuende? |
4946 |
Die Entscheidung der
vietnamesischen Regierung, die Mindestlöhne in den Fabriken ausländischer Hersteller um
durchschnittlich etwa 40 % zu erhöhen (ab 1. Februar), hat die Streiks wohl beendet. Diese
Erhöhung ist nach vorliegenden Berichten höher, als die meisten durch die Streiks direkt
erreichten Erhöhungen. Der Mindestlohn in den Städten Hanoi und Ho Chi Minh Stadt
beträgt jetzt 870 000 VND, etwa 55 US$; in den Aussenbezirken der Städte bzw. in
anderen Industrieparks gibt es abgestuft weniger.
Nach den Streiks gibt es jetzt auch Berichte über die Arbeitsbedingungen in den
Schwitzbuden. So mußten die Frauen bei Beautech Vina immer ihre vorgeschriebene
Menge fertigstellen, oft bis 10 Uhr abends, manchmal sogar bis Mitternacht. Nach einer
Untersuchung hatten nur 9 von 40 Unternehmen Arbeitsverträge mit allen Beschäftigten
abgeschlossen, in 4 Fabriken gab es überhaupt keinen Arbeitsvertrag - damit konnten sie
sich die Beiträge zur Sozialversicherung sparen. Die offizielle Gewerkschaft will jetzt
Leute in alle Fabriken schicken, "um den Arbeitern die neuen Regelungen zu erklären". |
aufgenommen: Di., 10.1.2006 |
Quelle: Thanh Nien Daily, VietNam News, Vietnam Net, Xinhua, Taipei
Times, 6. bis 10.1.06 |
Vietnam |
10.1.06 |
Wieder ein Streik |
4949 |
Provinz Binh Duong: Die 250 ArbeiterInnen der United Seafood Packers (ein
vietnamesisch- singapuresisches Joint Venture) sind erneut in Streik getreten. Die Firma
will zwar der Entscheidung zur Erhöhung des Mindestlohns folgen - aber gleichzeitig
Zulagen und anderes soweit kürzen, daß der Lohn am Ende der gleiche sein wird. Daneben
hat die ArbeiterInnen erzürnt, daß sie zwar Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen haben,
viele aber keinen Arbeitsvertrag haben. Außerdem hatte es am Sonntag eine Schlägerei
zwischen dem Direktor und einem Arbeiter gegeben. (Thanh Nien Daily, 11.1.06)
In einem Interview (VietNam Net, 10.1.06) hat Cu Thi Hau, die Vorsitzende des offiziellen
Gewerkschaftsverbandes Vietnam Confederation of Labour zugegeben, daß ihre Leute bei
den jüngsten Streiks kaum eine Rolle gespielt haben. In den ausländischen Betrieben seien
die Gewerkschaftseinheiten schwach und hätten auch keine Funktionäre, die vor
Entlassung geschützt seien. Legal streiken könne man sowieso nicht, weil man immer die
KP- Zelle im Betrieb fragen müsse. Es habe auch Streiks in Staatsbetrieben gegeben. Von
den 1000 Streiks der letzten Jahre sei kein einziger legal gewesen. Die Gewerkschaft will
jetzt Änderungen im Arbeits- und Streikrecht herbeiführen, die es ihr leichter machen, zu
streiken oder anderweitig etwas für die Arbeiter zu tun. Sie glaubt nicht, daß mit der
Mindestlohnerhöhung alle Streikursachen beseitigt seien. |
aufgenommen: Mi., 11.1.2006 |
Quelle: div. |
Vietnam |
27.2.06 |
Streikwelle reisst nicht ab |
5002 |
In der südlichen Stadt Bien Hoa sind 3800 ArbeiterInnen der Tainan Fiber Co (Taiwan),
470 Beschäftigte der Bilico Co. (Holz) und hunderte weitere im Industriepark Amata in
Streik getreten. Bei Tainan Fiber wird für höhere Löhne für dienstältere ArbeiterInnen bei
gleichzeitiger Anpassung der Löhne für Neueingestellte an die Mindestlöhne gestreikt. Bei
Bilico geht es auch um Festeinstellung und Zulagen für gefährliche Arbeit.
Der Chef der Europäischen Handelskammer in Vietnam hat an den Premierminister einen
Brief geschrieben, in dem er fordert, mehr Kontrolle über die Streiks auszuüben, bevor sie
auch auf Fabriken mit europäischem Kapital überspringen. Außerdem beschwert er sich,
daß die Europäischen Firmen nicht "konsultiert" worden sind, bevor die Erhöhung des
Mindestlohns um 40 % beschlossen worden ist.Schließlich habe einer der
Wettbewerbsvorteile Vietnams "darin bestanden, daß die ArbeiterInnen nicht gerne
streiken", so die Europäische Handelskammer. Der stellvertretende Arbeitsminister soll
höflich geantwortet haben: Die Streiks finden statt, weil unsere Arbeitsgesetze nicht
eingehalten worden sind. Die Handelskammer war über diese Antwort "ein bißchen
enttäuscht". |
aufgenommen: Mi., 1.3.2006 |
Quelle: Thanh Nien Daily, International Herald Tribune, 1.3.06 |
Vietnam |
1.3.06 |
Weiter Streiks |
5006 |
Bien Hoa: Die Streiks bei
Mabuchi Motors [Bild] (die Forderung beträgt dort 1,1 Mio VND, 58 Euro, im Monat für
erfahrende ArbeiterInnen) und bei Bilico gehen weiter; Fujitsu Computer hat höhere
Grundlöhne angekündigt und Tainan war damit einverstanden, die Löhne und die
Arbeitsbedingungen "anzupassen", deshalb sind dort die Streiks zuende. Dafür stellten die
mehr als 1000 ArbeiterInnen der Amanda Food Co. die Arbeit ein und verlangten u.a., daß
die Manager ihre Gehälter offenlegen. Ebenfalls in Streik gingen hunderte ArbeiterInnen
der Specialised Chain Co., weil die Firma Zulagen im Rahmen der Grundlohnerhöhung
gekürzt hat. (VietNamNet Bridge, Saigon Times)
In Ho-Chi-Minh-City kehrten tausende der Firmen Hoang Phat, Inter Flour Vietnam,
South Saigon und Il Shin Cap nach mehrtägigen Streiks zur Arbeit zurück, nachdem sich
"die Manager bereit erklärt hatten, sich um die Probleme zu kümmern". Die fast 1000
ArbeiterInnen der Phu Huu Co. streikten allerdings den zweiten Tag, um Lohnanpassungen
durchzusetzen. (VietNamNet Bridge). Seit dem 25.2. streiken die 300 ArbeiterInnen der
Upexim Wood Processing. Als die Leute nach der vorgeschriebenen Mindestlohnerhöhung
fragten, wurde gesagt, die Firma sei inländisch; tatsächlich wird sie aber von Taiwanesen
geführt. Dort soll es mit Unterstützung offizieller Stellen zu Entlassungen streikender
ArbeiterInnen gekommen sein. (devasia/intellasia.news) |
aufgenommen: Fr., 3.3.2006 |
Quelle:, 3.3.06 |
Unsere wichtigsten englischsprachigen Quellen:
Thanh Nien Daily
VietNamNet News
Saigon Times
Mekong Dev News / Intellasia
Nhan Dan - Trang chinh (Zentralorgan der KP)
Vietnam Economic Times
Viet Nam News
HCM Vietnam Business News
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Eine Webseite von WELT IN UMWÄLZUNG Mannheim-Ludwigshafen
4.März 2006